Amir Reza Koohestani: Offen gesagt hat es mich damals gar nicht so sehr interessiert: Ich fand es verwirrend und anstrengend, dieses Stück mit 30 verschiedenen Figuren zu lesen und mir ihre Namen, ihre Handlungen und ihre Beziehungen zu merken. 2007 kam ich erneut nach England, um in Manchester zu studieren und eine Doktorarbeit zu schreiben. Ich musste nicht allzu viele Lehrveranstaltungen besuchen und hatte Zeit, nach London zu fahren und dort in Bibliotheken zu recherchieren. Da stieß ich dann erneut auf Weskers Werke. Als Regisseur bin ich eher ein intuitiver Mensch: Ich habe ein Ingenieurstudium absolviert und mir fehlte damals eine akademische Theaterausbildung und eine klare konzeptionelle, ästhetische Vorstellung vom Theater. Aber in England begann ich mich sowohl mit zeitgenössischen Theaterformen und -theorien als auch mit Sozialwissenschaften und Philosophie zu beschäftigen. In Manchester besuchte ich zahlreiche gemeinsame Kurse mit Studierenden der Angewandten Theaterwissenschaften, die Aufführungen mit Strafgefangenen oder Obdachlosen entwickelten. Und da begegnete ich erneut Arnold Weskers „social plays“, die allerdings damals so gut wie nicht mehr gespielt wurden. 2011 gab es dann aber eine große Neuproduktion der KÜCHE im National Theatre – übrigens von Bijan Sheibani, einem englischen Regisseur mit iranischen Wurzeln inszeniert. Das habe ich alles mit Interesse verfolgt. Aber zu dem Zeitpunkt hätte ich nie daran gedacht, selbst ein Stück von Wesker zu inszenieren: In der Regel schreibe ich ja meine eigenen Stücke oder überschreibe allenfalls einen Tschechow … Das habe ich im Iran in den folgenden Jahren getan, auch, als ich 2015 ans Theater Oberhausen eingeladen wurde oder später an die Münchner Kammerspiele. Eines Tages aber erzählte mir Mohammadhassan Madjouni, ein Schauspieler, mit dem ich mehrere Produktionen gemacht habe, dass er mit Schauspielstudierenden DIE KÜCHE von Wesker realisiert: Er habe eine große Klasse zu unterrichten und deshalb ein Stück mit möglichst vielen gleichwertigen Rollen gewählt. Ich sah also zum ersten Mal eine Aufführung von DIE KÜCHE, mit iranischen Schauspielstudierenden. Madjouni ließ allerdings den Aspekt weg, dass es bei Wesker unter den Köchen deutsche Immigranten gab: Für ein iranisches Publikum wäre das nicht von Interesse gewesen. Ihn beschäftigte mehr der soziale Aspekt des Stückes, die Ausbeutung des Küchenpersonals, die Arbeitsbedingungen, etc. Im Iran haben wir nicht dieses westliche kapitalistische System, keine großen Konzerne, sondern eine den Sanktionen geschuldete lokale Version des Kapitalismus und iranische Formen der Ausbeutung. Das ist aber nicht diese große kapitalistische Maschine …